Mittwoch, 18. November 2015

„Le Carerre del Sole“ in Catania



Von Jakob Glassner

Als ich am Sonntag, den 28. Juni 2015, in Sizilien am Flughafen Cantania – Fontanarossa
ankam, war ich sehr gespannt, was ich in den folgenden zwei Wochen erleben würde. Ich wusste nur, dass es in diesem Projekt darum geht, verlassene Kinder zu betreuen, aber ich hatte keine Ahnung, wie die Situation der Kinder wirklich ist.
Aber ich beginne ganz von vorne:
So also stand ich allein am Flughafen in einer fremden Stadt, voll mit fremden Menschen, die eine fremde Sprache sprechen. Es war  das erste Mal, dass ich ganz allein verreiste, und es war echt ein tolles Gefühl, aufregend und abenteuerlich. Als mein Projektpartner Matthias ebenfalls ankam, ging es auch schon los. Unser Fahrer und sein 8 jähriger Begleiter Giacchomo begrüßten uns herzlich und nachdem wir unser Gepäck im Auto verstaut hatten, begann eine recht amüsante Fahrt durch die Straßen und Gassen Catanias. Giacchomo war sehr neugierig, er begann sofort mit uns zu reden, doch wir verstanden nur sehr wenig, da unsere Italienisch Kenntnisse sehr beschränkt waren. Aber ich weiß noch genau, dass eine seiner ersten Fragen war, ob ich Eltern habe. Als ich mit „Ja“ antwortete, kam es mir so vor, als wäre er kurz in traurigen Gedanken. Er schwieg eine Weile und es schien so, als wäre es ihm peinlich. Doch dann lächelte er wieder und fing an, mit uns die italienschen Zahlen zu üben. Ich muss heute immer noch über diesen kurzen Moment nachdenken.
Nach ca. einer halben Stunde Fahrzeit erreichten wir schließlich unseren Projektstandort. Wir wurden sehr freundlich von Schwester Rosalia, die die Verantwortung über das Projekt hat, empfangen und bekamen sofort einen „kleinen Imbiss“. Danach bezogen wir unser gemeinsames Zimmer und erholten uns erst einmal von der langen Reise. Am Nachmittag versuchte ich, mich in dem Labyrinth von Stiegen, Fluren und Hallen des Gebäudes zurechtzufinden, und so traf ich Seyadur. Seyadur stammt aus Bangladesch und ist der Portier dort, und er erklärte mir, wie der Tagesablauf ungefähr aussehen würde. Wir redeten lange miteinander und hatten aufgrund von sprachlichen Schwierigkeiten und Missverständnissen eine Menge Spaß. Im Laufe der zwei Wochen ist Seyadur ein guter Freund geworden, sowohl für mich als auch für Matthias.
Am späten Nachmittag wurden wir eingeladen, gemeinsam mit ein paar der Kinder in die Stadt zu fahren. An diesem Tag war nämlich ein besonderes Fest in Catania, die Leute spazierten auf der Straße, die extra gesperrt worden war, und ließen all ihre Sorgen hinter sich. Die Sonne war schon fast untergegangen, es war aber trotzdem hell und warm, gleichzeitig weht einem die Salzluft des Meers in die Nase und man nimmt sich Zeit um all dies bei einem leckeren Eis zu genießen. Aus den Cafés und Restaurants strömte angenehmer Geruch und ab und zu drangen Klänge eines Musikinstrumentes an unsere Ohren. Es war einfach eine gemütliche Stimmung, wie ich es aus Österreich nicht kenne. Es war wirklich schön. Schließlich fuhren wir zurück und dann gab es Abendessen, welches diesen besonderen Tag abrundete.
Zum Projekt „Le Carerre del Sole” muss ich noch sagen, dass es eine Wohngemeinschaft für verlassene Kinder ist, die von Klosterschwestern gegründet wurde. Deshalb ähnelte das Gebäude von innen mehr einem Kloster als einem Wohnhaus und es gab sogar eine hauseigene Kirche. Wir hatten während der zwei Wochen oft Gespräche mit Schwester Rosalia, die ebenso für sie wie als auch für uns erheiternd waren.
Am Nächsten Tag begann unsere Arbeit als Betreuer und wir lernten nun die Kinder kennen, mit denen wir die nächsten Tage verbringen würden. Einige stürmten sofort auf uns zu und umarmten uns, andere hielten sich anfangs noch zurück, aber als das tägliche Tanzprogramm startete, sprangen alle herum und wollten mit uns tanzen. Es war für uns alle ein großer Spaß. Danach war Spielzeit, die Kinder konnten nun ihre Zeit bis zum Mittagessen frei gestalten.
Ich blieb bei den Jüngeren und war viel damit beschäftigt, sie auf meinem Rücken herum zu tragen. Sie haben mir nach kurzer Zeit einen Spitznamen gegeben, sie nannten mich „Cavallo“, was „Pferd“ bedeutet. Ich musste sie natürlich auch fangen und dann wieder vor ihnen davonlaufen und immer so weiter. Es war unglaublich anstrengend, aber es erfüllte mich auch mit großer Freude.
An anderen Tagen gab es ein fixes Programm, wie zum Beispiel Kanu fahren oder zum Strand schwimmen gehen. Die Tagesabläufe waren sehr gut geplant und abwechslungsreich gestaltet, es war wirklich niemals langweilig. Einmal machten wir sogar einen Ausflug zum ETNA, die Aussicht dort ist wirklich etwas Einzigartiges.
Das Highlight der ersten Woche war der Freitag, denn wir sind mit allen Kindern in den Wasserpark nach Siracusa gefahren, selbst Schwester Rosalia war dabei. Es war wirklich ein toller Tag.
Aber man darf neben dem ganzen Spaß nicht vergessen, dass diese Kinder keine richtige Familie haben. Und genau deswegen halten sie alle zusammen, dort hilft jeder jedem.  Ich habe gespürt, dass viele sich nach Geborgenheit sehnen, denn sie halten sich ständig an jemand anderen fest, selbst die Älteren. Sie sind zu uns gekommen und haben sich einfach auf unseren Schoß gesetzt oder uns umarmt. Das war für uns alle einfach selbstverständlich. Manchmal hilft eine Umarmung mehr als tausend Worte, das habe ich dort gelernt.
In der zweiten Woche starteten die Proben für das “Spettacolo“, das große Spektakel, welches am Freitag stattfinden würde. Es wurde tanzen geübt und ein Theaterstück einstudiert, alle Kinder wurden eingeteilt. Matthias malte dafür schöne Bilder, die die Kinder begeisterten. Matthias ist künstlerisch hochbegabt und er beeindruckte uns alle mit seinen musikalischen Fähigkeiten, die er mit seiner Gitarre, diversen Mundharmonikas und seiner Stimme darbot. Er versteht es einfach, die Herzen seiner Mitmenschen zu erobern und er verbreitet immer gute Laune. Niemals verweigerte er uns ein Ständchen, auch wenn er oft ziemlich müde war und eigentlich schlafen wollte. Die Kinder liebten ihn und ich bin echt froh, dass ich so einen tollen Projektpartner hatte. Auch ihn bezeichne ich nun als echten Freund.
Natürlich machten wir auch in der zweiten Woche Ausflüge ans Meer, spielten und tanzten gemeinsam und lernten die Kinder noch besser kennen. Doch ich bemerkte, dass die Kinder zunehmend nervöser wurden, je näher der Freitag kam. Auch ich wurde es, denn der Freitag würde der letzte Tag für Matthias und mich in diesem Projekt sein, und ich wollte nicht weg von dort.
Doch schließlich war es soweit. Das Spektakel fand am Abend statt und es war wirklich unglaublich faszinierend. Es waren viele Besucher da, Verwandte und Freunde der Kinder. Dann kam die Abschlussrede von Schwester Rosalia, in der sie auch uns beide verabschiedete. Die Kinder rannten auf uns zu und umarmten uns. „Geht nicht! Bleibt hier !“ riefen sie und als ein kleines Mädchen Tränen weinte, konnte ich meine auch nicht mehr zurückhalten. Es war so ein trauriger Moment, der Traurigste, den ich erlebt habe. Ich habe ihnen mein Versprechen gegeben, dass ich sie wieder besuche. Und das werde ich.
Rückblickend kann ich sagen, dieses Projekt zu machen war eine meiner besten Entscheidungen in meinem Leben und ich habe so viel gelernt. Die Fülle an Emotionen und Erinnerungen, die mir von diesem Projekt bleiben, ist nicht in einem kurzen Bericht wie diesem festzuhalten. Ich glaube, ich kann ebenso für Matthias sprechen, wenn ich sage, dass dieses Projekt uns verändert hat und es auch eine kleine Reise in uns selbst war. Es ist eine Erinnerung fürs ganze Leben.  Danke an die Organisatoren vom Bauorden, dass ihr dieses Projekt ermöglicht habt.




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